Anatomie und Proportionen: Eine sitzende Figur zeichnen
Es ist nicht immer einfach, Ihre Figuren in natürlichen, alltäglichen Positionen darzustellen. Besonders schwierig ist es oft, einen Charakter fest auf dem Boden zu verankern, ihn entspannt wirken zu lassen oder ihm eine glaubwürdige Haltung zu geben. In diesem Artikel sehen wir uns Schritt für Schritt an, wie Sie eine sitzende Figur überzeugend zeichnen.
Bevor Sie eine Illustration einer sitzenden Figur erstellen, sollten Sie ein grundlegendes Verständnis für den Körper und seine anatomischen Grenzen haben. Die Wirbelsäule hält den gesamten Oberkörper zusammen. Auch wenn sie bei manchen Menschen sehr flexibel erscheint, bleibt sie ein Konstrukt aus Knochen – mit festen anatomischen Grenzen.

Die Wirbelsäule ist kein gerader Turm aus Knochen. Ihre natürliche S-Form erlaubt es ihr, das Gewicht des Oberkörpers effizient zu tragen. Das bedeutet: Eine Person kann keinen komplett geraden Rücken haben.
Wenn man davon spricht, "gerade zu sitzen", meint man in der Regel, dass Schultern und Becken auf einer Linie liegen sollten. Eine gewisse Hohlform im unteren Rücken bleibt dabei jedoch immer bestehen.
Umgekehrt kann sich eine Person auch nach vorne beugen – in diesem Fall spannt sich die Wirbelsäule und die Hohlform des Rückens ist weniger sichtbar, insbesondere von außen betrachtet.
VERSCHIEDENE POSITIONEN ZEICHNEN
Bevor Sie Ihre Figur zeichnen, überlegen Sie: Wer ist diese Person und in welcher Stimmung befindet sie sich? Jeder Mensch hat eine ganz eigene Art, zu sitzen – je nach Persönlichkeit und emotionalem Zustand.
- Selbstbewusste Person: Sitzt aufrecht, mit erhobenem Kopf.
- Schüchterne oder introvertierte Person: Zieht die Schultern hoch und hat einen leicht gebeugten Rücken.
- "Normale" entspannte Haltung: Der obere Rücken liegt an der Lehne, das Becken ist leicht nach vorne gekippt, der Kopf ist gerade.

Lässige, gleichgültige Haltung: Die Figur sinkt tief in den Sitz. Der Rücken ist rund, das Becken kippt nach vorne, die Schultern lehnen zurück.

Aktive, angespannte Haltung: Der Rücken liegt an der Lehne, das Becken kippt leicht nach vorne, der Kopf bleibt wachsam erhoben.

Verschlossene oder ängstliche Haltung: Der Rücken ist gekrümmt, der Kopf wird eingezogen. Die Person sitzt eher an der Vorderkante des Sitzes – bereit, jederzeit aufzustehen.

Extrem schüchterne oder zurückgezogene Haltung: Die Schultern sind weit nach vorne gebeugt, der Kopf eingezogen – die gesamte Körpersprache wirkt wie ein Schutzschild.

Diese Beispiele dienen als Grundlage. Natürlich ist jeder Mensch einzigartig. Jemand mit eingezogenem Kopf ist nicht zwangsläufig verschlossen – es könnte auch Ausdruck von Traurigkeit oder Müdigkeit sein.
Persönlichkeit und Emotionen beeinflussen die Körpersprache gleichermaßen.
DIE BEINE EINER SITZENDEN FIGUR ZEICHNEN
Nicht nur Rücken und Schultern machen eine Pose glaubwürdig – auch die Beinposition ist entscheidend. Eine Figur mit gekreuzten Beinen wirkt anders als eine mit gespreizten Beinen.
Einige Beispiele:
- Strenge oder abweisende Haltung: Gekreuzte Beine schaffen Distanz.
- Neutrale, entspannte Haltung: Die Knie bleiben nebeneinander.
- Lässige, bequeme Haltung: Die Beine sind leicht gespreizt, der Körper nimmt mehr Raum ein.
- Verschlossene Haltung: Beine zusammen, Füße zeigen nach innen.
Wichtig beim Zeichnen: Denken Sie an die Wirkung von Druck auf Muskeln. Je nachdem, wie eine Person sitzt, werden Oberschenkel und Waden leicht zusammengedrückt – das beeinflusst ihre Form.
Beispiel: Eine Figur im Schneidersitz. Hier wirkt Druck auf Oberschenkel und Waden – diese sollten nicht flach gezeichnet, sondern leicht gewölbt dargestellt werden, um Kompression durch Muskulatur und Fettgewebe realistisch zu zeigen.

Vergessen Sie nicht: Gelenke haben natürliche Bewegungsgrenzen. Knie oder Füße lassen sich nicht beliebig verdrehen. Eine glaubwürdige Sitzhaltung erfordert immer ein gewisses Gleichgewicht.
Beispiel: Beim Übereinanderschlagen der Beine kreuzt das obere Knie das untere. Der Unterschenkel liegt hinter dem Knie und stützt sich dort ab – das sorgt für Stabilität. Die Wade ist leicht gewölbt durch den Druck, der Fuß hängt entspannt nach unten.
Eine Pose, in der der Fuß dauerhaft aktiv angehoben ist, wirkt angespannt – das ist nur mit Muskelkraft möglich und wirkt oft unnatürlich.
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Wir haben das Thema abgedeckt. Jetzt können wir zur Praxis übergehen.
EINE SITZENDE FRAU ZEICHNEN - SCHRITT FÜR SCHRITT
Jetzt geht’s an die Umsetzung. Wichtig: Der Fokus liegt auf der Pose, nicht auf der Gestaltung der Figur selbst.
Ich entscheide mich, eine sitzende Figur leicht von vorne schräg darzustellen. Die Frau ist neugierig – sie lehnt sich leicht vor, um besser zu hören und zu sehen. Ihre Beine stehen nebeneinander, ganz entspannt.

Wenn die Basis der Sitzposition fertiggestellt ist, zeichne ich den Kopf und den Arm.

Ich verfeinere den Körper. Wenn ich meine Figur zeichne, vergesse ich nicht die Grundlagen: die Wirbelsäule und das Becken. Dies sind die Schlüsselelemente des Körpers für die sitzende Position, sie geben die Grenzen der Pose vor.
Um die Pose besser zu verstehen, stelle ich sie selbst nach oder bitte eine andere Person darum. So lassen sich Haltung und Körperspannung besser einschätzen.
Beachten Sie: Selbst sehr bewegliche Personen wirken in extremen Haltungen nicht automatisch natürlich – besonders, wenn Sie eine Szene aus dem Alltag darstellen möchten.




Tipp: Um Ihr Repertoire an Posen zu erweitern, beobachten Sie Menschen im Alltag – z. B. in Cafés oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Notieren oder skizzieren Sie spontane Haltungen.

Ein Skizzenbuch zur Hand zu haben, hilft enorm. In nur fünf Minuten lassen sich mehrere schnelle Skizzen anfertigen – das schafft eine Vielzahl an Referenzen und trainiert das Auge.
Das Zeichnen sitzender Figuren erfordert ein gutes Gespür für Anatomie, Körperhaltung und Emotionen. Je besser Sie beobachten und analysieren, desto glaubwürdiger wirken Ihre Posen.
Illustratorin und Redakteurin: Coralie