Realistisches Zeichnen leicht gemacht: Porträts Schritt für Schritt
Im Zeichnen gibt es viele verschiedene Stile – manche näher an der Realität, andere stärker stilisiert. Heute widmen wir uns dem realistischen Zeichnen. Es mag auf den ersten Blick anspruchsvoll wirken, doch in diesem Tutorial zeige ich Ihnen, wie Sie Schritt für Schritt eine realistische Zeichnung erstellen – am Beispiel eines Porträts.
Natürlich lässt sich diese Methode auch auf andere Motive anwenden: Landschaften, Ganzkörperfiguren oder Gegenstände.
WAS BRAUCHEN SIE FÜR EINE REALISTISCHE ZEICHNUNG?
Um ein realistisches Porträt zu erstellen, benötigen Sie zunächst ein Referenzfoto. Sie können im Prinzip jedes Foto verwenden – besonders einfach ist jedoch ein gut kontrastiertes Schwarz-Weiß-Bild. Da realistisches Zeichnen stark auf Ihrer Beobachtungsgabe basiert, hilft Ihnen ein kontrastreiches Bild dabei, Licht, Schatten und Volumen klarer zu erfassen.
Für dieses Tutorial habe ich ein entsprechendes Foto ausgewählt – Sie können jedoch jedes beliebige Motiv nehmen, das Sie anspricht.
Was das Material betrifft, sind Sie völlig frei: Bleistift, Filzstift, Farbe oder auch digitale Medien – alles ist möglich. Wenn dies Ihr erstes realistisches Porträt ist, empfehle ich Ihnen, mit dem Medium zu arbeiten, mit dem Sie sich am wohlsten fühlen.
EIN REALISTISCHES PORTRÄT ZEICHNEN - SCHRITT FÜR SCHRITT
Der erste Schritt besteht darin, die Grundformen des Porträts zu analysieren.
Konzentrieren Sie sich zunächst auf die großen Flächen und Formen – etwa das Gesicht, die Haare, den Oberkörper.
Die wichtigste Regel: Arbeiten Sie immer vom Allgemeinen zum Detail. Eine Zeichnung, die in ihren Grundformen funktioniert, lässt sich später leichter verfeinern und gegebenenfalls korrigieren als eine, bei der jedes Detail isoliert behandelt wurde.
Erstellen Sie also eine erste Skizze, die die groben Bereiche Ihres Porträts abdeckt. Diese großen Einheiten dienen Ihnen später als Orientierungshilfe beim Platzieren der Details.
Sobald die Grundformen feststehen, fügen Sie Hilfslinien und Markierungen hinzu. Diese Linien helfen Ihnen dabei, die Ausrichtung der Volumen zu erkennen oder die Positionen von Gesichtszügen richtig einzuschätzen. Nutzen Sie auch die bereits skizzierten Flächen zur Orientierung – beispielsweise als Maßstab für Abstände.
Nachdem die Markierungen gesetzt wurden, können Sie nun die kleineren Elemente des Gesichts grob platzieren. Ziel ist es an dieser Stelle, vor allem Größe und Position dieser Elemente festzulegen.
Grenzen Sie daher zunächst die Bereiche für die Augen, die Nase und den Mund ab.
Natürlich können Sie diese Methode auch auf weitere Details anwenden, etwa auf Elemente im Brustbereich oder an der Kleidung. Wie bereits im vorherigen Schritt, dienen Ihnen die bereits skizzierten Formen als Maßpunkte.
Tipp: Verwenden Sie beispielsweise die Breite eines Auges als Maßeinheit, um die Proportionen im restlichen Gesicht leichter einzuschätzen.
Anschließend können Sie beginnen, die Formen weiter zu verfeinern – ganz wie ein Bildhauer, der Stück für Stück die Struktur eines Gesichts herausarbeitet. Nach und nach fügen Sie Details und neue Markierungen für die verschiedenen Gesichtspartien hinzu.
In dieser Phase ist es besonders wichtig, auch die sogenannten offenen Volumen des Gesichts darzustellen – also die Ebenen von Wangen, Nase, Stirn und anderen Flächen, die nicht durch Konturlinien definiert werden können. Gerade diese Volumen sind entscheidend, um Ihrem Porträt später Tiefe und Ausdruck zu verleihen.
Herzlichen Glückwunsch, Ihre Skizze ist fertig! Sie bildet nun die Basis für den nächsten Schritt: das gezielte Modellieren von Volumen und Licht.
VOLUMEN IN DIE ZEICHNUNG BRINGEN
Nun, da Ihre Skizze fertig ist, dient sie als Grundlage, um Volumen und Tiefe in Ihr Porträt zu bringen. Ziel dieses Schritts ist es, die verschiedenen Helligkeitswerte Ihrer Referenz zu identifizieren und diese realistisch in der Zeichnung umzusetzen.
Wie bereits bei der Skizze folgen Sie dabei dem Grundprinzip: vom Allgemeinen zum Detail.
Im ersten Schritt konzentrieren Sie sich auf die sogenannten Halbtöne – das sind die mittleren Tonwerte des Motivs, also Bereiche, die weder stark im Schatten noch im Licht liegen. Diese Halbtöne bilden die Grundlage Ihrer Modellierung.
Wenn Sie mit deckenden Farben wie Gouache oder Acryl oder digital arbeiten, können Sie die gesamte Zeichnung zunächst mit diesen mittleren Werten „überziehen“. Arbeiten Sie hingegen mit Bleistift, Aquarell oder einer durchscheinenden Technik, achten Sie darauf, die hellsten Stellen auszusparen.
Gerade bei diesen Medien ist es wichtig, das Weiß des Papiers für die intensivsten Lichtpunkte zu erhalten.
Sobald die Halbtöne als Grundlage gesetzt sind, beginnen Sie mit der Ausarbeitung von Schatten und Licht. Im ersten Schritt definieren Sie die Schattenbereiche, indem Sie einen etwas dunkleren Ton als Ihre Halbtöne wählen. Anschließend bestimmen Sie die Lichtbereiche, in denen Sie mit einem entsprechend helleren Ton arbeiten.
Das Ziel in diesem Stadium ist es, einen ausgewogenen Gesamteindruck der Licht- und Schattenverteilung im Porträt zu gewinnen. So schaffen Sie die Basis für ein realistisches Spiel von Tiefe und Form.
DER REALISTISCHEN ZEICHNUNG FORM GEBEN
In diesem Schritt verleihen Sie Ihrem Porträt seine endgültige Form.
Besonders wichtig ist es jetzt, auf die unterschiedlichen Arten von Kanten Ihrer Formen zu achten. Eine Kante bezeichnet dabei die Grenze zwischen zwei Bereichen mit unterschiedlichen Helligkeitswerten.
Je nach Volumen können diese Kanten weich oder hart ausfallen:
Rundere Bereiche wie die Wangen oder die Stirn besitzen meist weiche Übergänge – das bedeutet, die Helligkeitswerte verlaufen sanft ineinander. Im Gegensatz dazu treten bei prägnanteren Formen wie den Augenlidern, dem Mund oder der äußeren Kontur des Gesichts deutlichere Unterschiede auf. Diese Bereiche zeichnen sich durch harte Kanten aus – also klare, scharfe Übergänge, ähnlich den Konturlinien einer Lineart-Zeichnung.
Wie bereits erwähnt, wenden wir auch beim Schattieren denselben Ansatz an wie bei der Skizze: vom Allgemeinen zum Detail. Beginnen Sie mit einem Ton, der etwas dunkler ist als Ihre zuvor gesetzten Schatten, um die besonders dunklen Bereiche hervorzuheben. Wiederholen Sie diesen Vorgang schrittweise, bis Sie alle Schattenebenen definiert haben.
Verfahren Sie genauso mit den Lichtern, indem Sie nach und nach hellere Werte einsetzen. Achten Sie dabei besonders auf Ihre Kantenführung: Es ist verlockend, überall sanfte Verläufe einzusetzen – doch genau das führt oft zu einer glanzlosen, verschwommenen oder kontrastarmen Zeichnung.
Stattdessen sollten Sie harte Kanten gezielt beibehalten, insbesondere entlang der inneren Konturen Ihrer Skizze. So stellen Sie sicher, dass Ihr Porträt eine klare Struktur und gute Lesbarkeit behält.
Die Rendering-Phase ist zweifellos die zeitintensivste, daher sollten Sie sich ausreichend Zeit nehmen. Beobachten Sie Ihr Modell sorgfältig und arbeiten Sie stets vom Allgemeinen zum Detail, um den Überblick nicht zu verlieren. Es ist ebenso wichtig, Ihre Zeichnung regelmäßig aus der Distanz zu betrachten, um das Gesamtbild im Blick zu behalten. Scheuen Sie sich nicht davor, zwischendurch Abstand zu gewinnen oder, wenn Sie digital arbeiten, herauszuzoomen.
Ebenso wichtig ist es, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wann Sie mit Ihrer Arbeit aufhören sollten, um ein „Überarbeiten“ des Porträts zu vermeiden. Sobald die Skizzenlinien nicht mehr sichtbar sind, gilt Ihre Darstellung als abgeschlossen. Zu viel Nachbearbeitung kann die Qualität Ihres Porträts beeinträchtigen.
Und voilà, Ihr Porträt ist fertig! Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen möchten, können Sie die gleiche Vorgehensweise erneut anwenden – diesmal jedoch in Farbe. Achten Sie dabei darauf, Ihre Bereiche entsprechend den Farben festzulegen, die Sie wahrnehmen, und wenden Sie dieselbe Darstellungsweise wie in diesem Tutorial an.
Alternativ können Sie sich auch dafür entscheiden, ein anderes realistisches Motiv zu zeichnen, etwa einen Gegenstand oder eine Landschaft. Mit dieser Methode sind Sie in der Lage, nahezu alles darzustellen!
Vergessen Sie dabei nicht: Realistisches Zeichnen erfordert viel Beobachtung und Zeit. Seien Sie also geduldig – Ihre Ergebnisse werden mit der Zeit immer besser.
Verfasst und illustriert von Louis Grieves