Beobachtungszeichnung lernen – So zeichnen Sie realistisch
Beobachtungszeichnen ist die Basis jeglicher Zeichenpraxis. Es ist etwas, das Sie unbewusst ständig tun – oft ohne es zu merken. In diesem Artikel erhalten Sie hilfreiche Tipps, wie Sie das Beobachtungszeichnen gezielt und effektiv einsetzen können.
WAS IST EINE BEOBACHTUNGSZEICHNUNG?
Beobachtungszeichnen bedeutet, die Realität so zu zeichnen, wie Sie sie tatsächlich sehen – ohne Interpretation oder Fantasie. Wenn Sie Aktzeichnen betreiben oder ein Objekt vor Ihnen abzeichnen, betreiben Sie Beobachtungszeichnen. Ebenso gilt das, wenn Sie auf der Straße skizzieren, was Sie umgibt.
Beobachtungszeichnen ist auch die effektivste Methode, um das Zeichnen zu erlernen.
Dabei gibt es verschiedene Herangehensweisen:
Sie zeichnen ein Objekt oder eine Person in Bewegung und erfassen dabei nur die Hauptlinien Ihres Motivs.
Sie erstellen eine Skizze in begrenzter Zeit – typischerweise einige Sekunden bis maximal fünf Minuten.
Sie nehmen sich Zeit, um ein feststehendes Objekt oder Modell mit genauen Proportionen und Details darzustellen.
Ich habe bereits einen Artikel über das Aktzeichnen nach lebendem Modell verfasst – falls Sie tiefer einsteigen möchten, lade ich Sie herzlich dazu ein, diesen ebenfalls zu lesen: Wie man nach einem lebenden Modell zeichnet.
In diesem Artikel widmen wir uns einem klassischen Thema: einem Stillleben. Genauer gesagt – einem Obstkorb. Wir werden diesen detailliert ausarbeiten – mit Farben, Licht, Schatten und einer möglichst realistischen Textur.
MASSNEHMEN BEIM ZEICHNEN
Bevor Sie mit dem Zeichnen beginnen, sollten Sie lernen, mit einfachsten Mitteln Maß zu nehmen – in diesem Fall mit einem Bleistift.
Falls Sie meinen Artikel zum Aktzeichnen gelesen haben, wissen Sie bereits, wie das funktioniert. Für alle anderen folgt hier eine kurze Auffrischung:
Stellen Sie sich Ihrem Motiv frontal gegenüber, mit ausgestrecktem Arm und einem geschlossenen Auge.
Richten Sie die Spitze Ihres Bleistifts auf den höchsten Punkt des Motivs. Schieben Sie Ihren Daumen entlang des Stifts nach unten, bis er den tiefsten Punkt markiert. Falls das Objekt zu groß ist, wählen Sie einen markanten Abschnitt als Maßgrundlage.
So erhalten Sie Ihr erstes Maß – Ihre Referenz.
Drehen Sie den Stift um 90°, um auf dieselbe Weise horizontale Abmessungen zu ermitteln.
Nun können Sie die Maße auf Ihr Zeichenblatt übertragen:
Entweder Sie zeichnen im Maßstab 1:1 – was oft zu klein wird.
Oder Sie passen Ihr Maß durch Multiplikation (z. B. ×1,5 / ×2 / ×3) an das Blattformat an.
DAS KLASSISCHE STILLLEBEN: DER OBSTKORB
Idealerweise haben Sie das Modell tatsächlich vor sich. Für diesen Artikel werde ich jedoch ein Foto verwenden.
Ich habe also diesen Obstkorb gewählt.
Gerade weil Früchte unterschiedlichste Formen und Texturen besitzen, eignet sich dieses Motiv hervorragend zum Üben. Es erlaubt, viele zeichnerische Herausforderungen mit nur einem Thema zu trainieren.
Ich beginne mit der Anlage von Orientierungspunkten, indem ich mein Modell messe und die Proportionen auf das Papier übertrage:
Zuerst setze ich Höhenmarkierungen.
Dann ermittle ich die Breite auf gleiche Weise.
Nun habe ich die Gesamtgröße meines Motivs bestimmt.
Ich beginne mit dem Korb – er bildet die Basis des Motivs und ist zugleich das größte Element.
Dann skizziere ich grob die Position der Früchte. Dabei konzentriere ich mich ausschließlich auf die Form – ohne Details.
Sobald ich mir sicher bin, dass alle Proportionen stimmen, beginne ich mit der Ausarbeitung:
Zuerst der Korb. Dann die Früchte im Vordergrund: zwei Äpfel und eine Birne. Anschließend die Bananen.
Danach die Trauben. Und schließlich die Orange.
Jetzt ist der Hintergrund fertig. Bis hierhin ist noch nichts allzu Kompliziertes passiert – wir haben lediglich mit gesteigerter Genauigkeit die Grundformen gezeichnet.
Dennoch haben Sie bereits den schwierigsten Teil der Beobachtungszeichnung gemeistert: nämlich korrekte Proportionen zu treffen und eine möglichst identische Darstellung Ihres Modells zu erreichen.
Der Rest ist „nur“ Feinschliff.
Ich fahre fort, die Zeichnung mit klaren Linien nachzuziehen.
DETAILS UND FARBEN HINZUFÜGEN
Nun beginnt das Kolorieren.
Sie starten mit den Grundfarben Ihrer Zeichnung. Damit ist meist der mittlere Farbton gemeint – weder der hellste noch der dunkelste.
Im nächsten Schritt bestimmen Sie, wo sich die Hauptlicht- und Schattenbereiche befinden.
Ein einfacher Trick: Blinzeln Sie mit den Augen, während Sie Ihr Motiv betrachten. Dadurch treten Licht- und Schattenzonen deutlicher hervor. Was Sie unter diesen Bedingungen noch erkennen, ist tatsächlich relevant und sollte unbedingt in Ihre Zeichnung aufgenommen werden.
Ich beginne mit den Schatten und Lichtakzenten des Korbs.
Dann wende ich mich den Äpfeln zu. Dabei achte ich bewusst darauf, die Farbschichten nicht zu verwischen. Ein zu glatter Übergang erzeugt schnell einen künstlichen „Plastik“-Effekt – die gesuchte Textur geht verloren.
Lassen Sie stattdessen Ihre Bleistift-, Pinsel- oder Brushstriche sichtbar. Sie erzeugen damit Struktur – und verleihen Ihrer Zeichnung Lebendigkeit.
Ich gehe zur Birne über.
Danach folgen die Bananen – inklusive der typischen braunen Flecken. Denn perfekt makellose Bananen existieren nur in Cartoons.
Nun sind die Trauben an der Reihe. Sie wirken aus der Nähe oft leicht durchsichtig. Um diesen Effekt auch in Ihrer Zeichnung zu erzeugen, setze ich einen hellen, leicht gelblichen Lichtreflex. (Denn reines Weiß existiert im Licht praktisch nicht.) Dieser Reflex vermittelt feine, realistische Textur.
Ich schließe mit der Orange ab – dort betone ich bewusst die Strichführung, um die raue Schale anzudeuten.
Damit ist der Korb vollständig ausgearbeitet.
In diesem Beispiel haben wir jedes Element einzeln ausgearbeitet – weil wir Zeit hatten. Doch in einem Wettbewerb oder bei Zeitdruck ist das selten möglich.
In solchen Fällen sollten Sie das gesamte Bild in Schritten bearbeiten:
- Grundfarben auf das gesamte Motiv legen
- Danach die Schatten über die ganze Zeichnung setzen
- Zum Schluss die Lichtakzente hinzufügen
Bearbeiten Sie Ihr Motiv also als Ganzes, nicht in Einzelteilen. So sorgen Sie für ein harmonisches Gesamtbild – selbst wenn Sie nicht alles fertigstellen können. Und genau das zählt.
Eine Zeichnung ist dann gelungen, wenn sie auch ohne sichtbare Kontur verständlich bleibt. Besonders in der digitalen Arbeit (z. B. mit dem Grafiktablet) ist das leicht überprüfbar.
Machen Sie während des Zeichnens immer wieder den Test: Blenden Sie die Linienführung aus und schauen Sie, ob das Bild immer noch erkennbar ist. Wenn ja, sind Sie auf dem richtigen Weg. Wenn nicht, lohnt es sich, noch einmal an Form und Wertigkeit zu arbeiten.
SCHLUSSFOLGERUNG
Damit endet unser Artikel zum Thema Beobachtungszeichnen.
Ich hoffe, er hat Ihnen gefallen – vor allem aber geholfen zu verstehen, wie zentral das Beobachten beim Zeichnen ist.
Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit zum Üben – mit verschiedensten Motiven und unter unterschiedlichen Bedingungen. Begrenzen Sie sich ab und zu in der Zeit, um Schwächen zu erkennen und zu verstehen, was bereits funktioniert – und was noch nicht.
Kurz gesagt: Beobachten Sie!
Illustratorin und Redakteurin: Coralie